Forschungen zeigen: Geheimarmeen in Europa wurden von der CIA bezahlt, von der Nato koordiniert

Basler Zeitung; 16.12.2004; KATRIN HOLENSTEIN, Bern

 

Es war Guilio Andreotti, der katholische Ministerpräsident Italiens, der die Existenz der italienischen Geheimarmee und Terrorzelle «Gladio» 1990 öffentlich machte. Das war der Anfang eines der größten Skandale in der europäischen Nachkriegsgeschichte. Es kam heraus, daß seit den 50er Jahren in allen Nato-Staaten solche Untergrundarmeen mit geheimen Waffenlagern existierten, und daß einige sogar blutige Terrorakte gegen die eigene Bevölkerung verübt hatten. Auch die Schweizer Geheimarmee P-26 war mit diesem geheimen Netz unter Nato-Führung verknüpft, sagt Daniele Ganser, Experte für Sicherheitspolitik an der ETH Zürich, im Gespräch mit der Basler Zeitung.

baz: Herr Ganser, die Nato bestreitet bis heute, in diesem europäischen Untergrund-Netz eine zentrale Rolle gespielt zu haben. Das stimmt offenbar nicht?

Daniele Ganser: Heute steht einwandfrei fest, daß die Nato das geheime Netz von Brüssel aus koordiniert hat. Das ACC (Allied Clandestine Comitee), das dem Nato-Zentrum Shape in Mons angegliedert ist, hat zusammen mit dem CPC (Clandestine Planning Committee) die Geheimarmeen koordiniert und hätte im Falle einer Invasion in Westeuropa auch als Schaltzentrale funktioniert.

Der US-Auslandgeheimdienst CIA und der britische Dienst MI6 waren die Triebfedern - mit welchen Interessen?

Die Nato wurde schon damals von den USA dominiert; die Briten ihrerseits sind die Meister der verdeckten Kriegsführung. Sowohl MI6 als auch CIA und Pentagon hatten großes Interesse, in Europa solche geheimen Strukturen aufzubauen, um im Falle einer sowjetischen Invasion für den Untergrundkampf gerüstet zu sein und die Machtergreifung der Kommunisten zu verhindern.

Dafür ist viel Geld geflossen...

Sehr viel Geld. Das CIA steckte viele Millionen in den Aufbau dieser Untergrundorganisationen. Sie wurden vom CIA und vom MI6 ausgerüstet und trainiert. Die einzelnen Geheimarmeen ihrerseits nahmen sich aus diesen beiden Quellen, was sie für ihre nationalen Strategien brauchten. Nach den Erfahrungen im 2. Weltkrieg wollten sie gegen fremde Besetzungen gewappnet sein. Guerilla-Truppen wurden bereitgestellt und geheime Waffen- und Sprengstofflager angelegt, um die Invasoren aus dem Untergrund zu bekämpfen.

Die italienische Geheimarmee Gladio war verbandelt mit den Faschisten, mit der Mafia und der katholischen Kirche. Gelten für andere Länder ähnliche Strukturen?

Man steigt überall in eine Art Unterwelt. Die Muster aber sind national verschieden. In Frankreich arbeitete die Geheimarmee mit Nationalkonservativen zusammen. In Deutschland saßen alte SS-Offiziere in der Untergrundorganisation.

Wie stark richteten sich diese Untergrundarmeen auch gegen «innere Feinde», also gegen die eigene Bevölkerung?

Dieser Kampf gegen den inneren Feind war in einigen Ländern Teil des Konzeptes. Er basierte auf der sogenannten «Strategie der Spannung» und war auf Terror aufgebaut. In Italien und der Türkei wurde diese schon fast teuflische Strategie wohl am erfolgreichsten umgesetzt: mit Bombenanschlägen und Massakern gegen die eigene Bevölkerung, die man anschließend dem politischen Feind, also den Linken in die Schuhe schob. Man versetzte die Menschen mit blutigen Anschlägen in Furcht und Schrecken, um politische Ziele zu erreichen. In Griechenland ging das 1967 bis zum Militärputsch, an dem die «LOK»-Geheimarmee beteiligt war. In der Türkei, wo die Geheimarmee auch an Folterungen beteiligt war, richtete sich der Kampf gegen die Kurden.

Kam es auch in anderen Ländern zu verdeckten Terrorakten?

Für die Anschläge 1980 am Münchner Oktoberfest mit 13 Toten und über 200 Verletzten wurde Waffenmaterial aus den Lagern der Geheimarmee verwendet. In Belgien wurde die Geheimarmee Mitte der 80er Jahre verdächtigt, in die Brabant-Anschläge verwickelt zu sein, bei denen wahllos Menschen in Geschäften niedergeschossen und 28 getötet wurden. Die Untersuchungen liefen in beiden Fällen ins Leere, weil die Geheimdienste sich weigerten, zu kooperieren.

Und dahinter standen immer die USA?

Es waren natürlich auch handfeste nationale europäische Interessen im Spiel. Daß die USA aber ihren Einflußbereich derart manipulierte und sogar Terroranschläge mitfinanzierte, hat man bisher schlicht nicht gewußt. Entsprechend schockiert sind die Menschen in Europa.

Wurden die Geheimarmeen 1990 nach ihrer Entlarvung tatsächlich aufgelöst?

Die nationalen Vertreter der Geheimarmeen trafen sich im Oktober 1990 nochmals in Brüssel. Danach wurden die Armeen in ihrer damaligen Form vermutlich aufgelöst. Nach dem Fall der Sowjetunion war der strategische Sinn ja hinfällig geworden. Nicht abgeschafft wurde aber die Taktik der «geheimen Kriegsführung» mit verdeckten Operationen. Klar ist auch, daß die Strategie der Spannung weiter existiert, daß es Terroranschläge gibt, und daß man sie braucht, um Menschen zu manipulieren und politische Ziele zu erreichen. Das spielt noch heute eine zentrale Rolle, etwa bei den Vorbereitungen zum Irakkrieg, als man den 11. September Saddam Hussein angehängt hat - eine dreiste Lüge.

Sind Verstrickungen der US-Geheimdienste bei den Anschlägen vom 11. September oder beim Bombenattentat von Madrid denkbar?

Aufgrund der Erkenntnisse über verdeckte Kriegsführung und Terrorismus ist überall absolut alles denkbar. Schwieriger ist es, die Fakten zu finden und richtig zu kombinieren. Die Gladio-Untersuchungen zeigen, daß die ersten Spuren allesamt falsch waren und vom Staat selber gelegt wurden, um die Bevölkerung zu manipulieren. Gräbt man tiefer, gerät man in ein komplexes Labyrinth der Unterwelt. Auch beim 11. September.

War auch die Schweiz mit ihrer Geheimarmee P-26 Teil des Nato-Netzes?

Die Frage nach der Nato-Verbindung ist immer noch brisant. Eine direkte Verbindung zur Nato-Geheimorganisation hätte ja ganz klar das Neutralitätsprinzip verletzt. Von einer direkten Verbindung kann man nach heutigem Wissensstand aber nicht reden.

Die Schweiz hat nicht an den geheimen Sitzungen in Brüssel teilgenommen?

Nein. Es gibt dafür zumindest keine Hinweise. Die Schweiz hatte aber sehr enge Beziehungen zum britischen Geheimdienst MI6. Die Schweizer trainierten in England, richteten in London eine Funkübermittlungszentrale ein und verwendeten das «Harpoon»-Funksystem der Nato-Geheimarmeen. Mit dieser engen Verbindung nach London hatte die P-26 natürlich auch direkten Kontakt zur Geheimarmee-Leitstelle; sie war so also indirekt durchaus integriert.

War die P-26 nur eine Widerstandsgruppe, wie das ihre Vertreter bis heute sagen? Ihre Tätigkeiten waren ja auch gegen den «inneren Feind» gerichtet.

Die P-26 war eine Widerstandsgruppe. In der Schweiz gab es keinen einzigen Fall von Gewalt und Terror. Das ist im Blick auf andere Länder beruhigend: In der Türkei wurde gefoltert, in Griechenland kam es zum Staatsstreich, in Italien wurden Bomben gelegt und Menschen ermordet.

Es existiert ein Grundlagenpapier des US-Generalstabs von 1970 (unterzeichnet Westmoreland), in dem indirekt über Geheimarmeen und über die Verhinderung von «unfriendly governments in Europe» gesprochen wird. Kommen in diesem oder anderen Dokumenten des US-Generalstabs die Schweiz, Schweizer Akteure oder die P-26 vor?

Dieses Field Manual 30-31B ist ein sehr brisantes Dokument, das in Italien entdeckt wurde. Es bezieht sich nicht nur auf die Geheimarmeen, sondern grundsätzlich auf die Zusammenarbeit der US-Militärgeheimdienste mit Geheimdiensten in anderen Ländern und geheime antikommunistische Operationen. Darin werden sogenannte «false flag operations» beschrieben, manipulierende Terroranschläge, um die Bevölkerung von der kommunistischen Gefahr zu überzeugen. Aber es werden keine Länder spezifisch genannt, auch nicht die Schweiz.

Wie beurteilen Sie die Qualität und Glaubwürdigkeit des Berichts Pierre Cornu vom 19. September 1991 über die P-26?

Damals wurde nur eine vom Bundesrat gekürzte Fassung der Öffentlichkeit vorgestellt. Ich habe die parlamentarische Geschäftsprüfungsdelegation kürzlich um den noch immer als geheim eingestuften Bericht angefragt. Die Einsicht wurde aber verweigert, da die Beziehungen der Schweiz zu anderen Staaten beschädigt werden könnten. Ich kann den Originalbericht also nicht beurteilen.

// Daniele Ganser (32) arbeitet seit 2003 an der Forschungsstelle für Sicherheitspolitik der ETH Zürich. Er hat in Basel studiert und 2001 bei Professor Georg Kreis promoviert. Von Ganser ist in London soeben ein Buch über die Nato-Geheimarmeen erschienen: «Nato's Secret Armies.
Operation Gladio and Terrorism in Western Europe», Frank Cass. London 2005.